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Ist das noch Statistik oder schon AI? 

Ein Versicherungsunternehmen benötigt in jeder Sparte verlässliche Schätzungen des Schadeneintritts für so unterschiedliche Ereignisse wie Einbruch, Hagel, Diebstahl, Tod oder Berufsunfähigkeit. Daher werden in den Aktuariaten ausgewählte statistische Verfahren verwendet, um diese Ereignisse zu schätzen. Die im persönlichen Alltag bewährte Regel π × Daumen reicht nicht aus. 

Das Beispiel Berufsunfähigkeit zeigt, viele Versicherungsbestände sind zu klein, um mit klassischen Methoden die eigenen Schadenerfahrungen zuverlässig zur Tarifierung zu verwenden. 

Selbst in großen Beständen der Rückversicherer gibt es blinde Flecken bei bestimmten Altern und Berufen, die mittels expert judgement (Expertenschätzung) abgedeckt werden. Das wird deutlich bei der 2022 veröffentlichten Herleitung biometrischer Rechnungsgrundlagen für Berufsunfähigkeitsversicherungen der DAV. Die Tafel DAV 2021 I (Invalidisierung) beruht in wesentlichen Teilen auf der Schadenerfahrung dreier großer Rückversicherer. Während bei den Männern über einen weiten Altersbereich jeweils mehr als 2000 Schäden pro Alter beobachtet wurden, wird bei den Frauen diese Anzahl in keinem Alter erreicht. Insgesamt gesehen bricht mit dem Alter 60 die Schadenerfahrung ein. Entsprechend dauert es bei jungen Altern einige Jahre, bis sich eine ausreichende Schadenerfahrung ausgebildet hat. Es sind daher insbesondere die jungen und hohen Alter schwach vertreten. Umso dünner wird die Luft, wenn man den Bestand eines einzelnen Unternehmens betrachtet. Auch der Vergleich mit der Vorgängertafel DAV 1997 I zeigt ein uneinheitliches Bild der Risikoentwicklung. Das heißt das Risiko berufsunfähig zu werden, die Sterblichkeit der Berufsunfähigen und die Reaktivierungen haben sich stark unterschiedlich entwickelt. In diesem Umfeld ergeben sich zahlreiche ökonomische Fragen: 

  • Muss aufgrund der divergierenden Risikoentwicklung nachreserviert werden, und wenn ja, bei welchen Teilbeständen oder Segmenten? 
  • Nutzt man im Verhältnis zum Markt das volle Vertriebspotential oder bleiben potenzielle Kunden bei der Ansprache bzw. durch eine ungünstige Prämienkalkulation unberücksichtigt? 
  • Passt die Einstufung in Berufsgruppen zur Schadenerfahrung? 

Als Versicherer hat man zahlreiche ergänzende Informationen zur Verfügung, die bei der Herleitung der DAV-Tafel nicht berücksichtigt werden konnten. Einige davon werden hier beispielhaft genannt.  

  • Als Ursachen für den Rückgang der Invalidisierungen in hohen Altern werden u.a. Vorruhestandsregelungen und Altersteilzeitmodelle genannt. Im bAV-Geschäft ist durch den Arbeitgeber i.d.R. die Branche bekannt und es lässt sich ermitteln, ob inwieweit diese Punkte zutreffen. Diese Information kann für identische versicherte Personen auf das Einzelgeschäft übertragen werden. Zusätzlich kann z.B. die geographische Information ergänzt werden. 
  • Erkenntnisse aus dem Nicht-/Rauchertarif als Hauptversicherung einer BU-Zusatzversicherung oder im Fall einer selbständigen BU-Versicherung aus ggf. vorhandenen weiteren Versicherungen. 
  • Regelmäßigkeit der Beitragszahlung, ggf. nicht nur bzgl. des BU-Risikos sondern des Kunden als Ganzen. 
  • Häufigkeit des Wohnungswechsels oder der Bankverbindung 

Ein neuronales Netz bietet die Chance, zusätzliche Erkenntnisse aus dem Bestand zu gewinnen, da es Verbindungen sichtbar macht, ohne dass man gezielt danach suchen muss. Wenn diese Verbindungen erkannt und erklärt sind, erscheinen sie häufig selbstverständlich. So sind beispielsweise aus der Schadenversicherung unterschiedliche Faktoren bekannt, die für sich allein noch nicht ausreichend sind, um einen Schadenfall als Betrugsversuch zu kennzeichnen.  

Aus der Kombination von Eigenschaften wie Abstand zwischen Vertragsschluss und Schadeneintritt, Abstand zwischen Schadeneintritt und Schadenmeldung, beteiligten Personen und deren Beziehung zueinander etc. erfolgt eine Klassifikation als prüfenswerter Schadenfall. In diesem Sinne kann ein neuronales Netz helfen, auch ein BU-Risiko neu einzustufen. 

Diese Einstufung ist dann nützlich für die Ableitung der current estimates der ökonomischen Bilanzen nach Solvency und IFRS und für eine Bewertung nach HGB. 

Eine mögliche positive Anwendung der Erkenntnisse aus dem BU-Bestand für den Gesamtbestand ist, EU-Versicherten mit bestimmten Merkmalen wie Hauseigentum, Einkommen in gewissen Grenzen, keine Unregelmäßigkeiten bei der Beitragszahlung ein Upselling in einen BU-Tarif ohne (umfangreiche) Gesundheitsprüfung zu einer attraktiven Prämie anzubieten.  

Der tiefere Blick in den Bestand hat u.a. diese zwei Ziele: 

  • Neue Kundenzielgruppen sind adressbierbar 
  • Zusätzliche Sicherheit kann den künftigen Nachreservierungsbedarf reduzieren 

Neuronale Netze haben sich seit Jahren in vielen Anwendungen auch in der Versicherungswirtschaft bewährt, sie sind jedoch noch nicht überall im aktuariellen Alltag angekommen. 

Und nein, das ist noch nicht AI, aber ein Schritt in die Richtung. 

Gerne vertiefen wir das Thema mit Ihnen im persönlichen Gespräch mit unserem Experten Michael Stoffels

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